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13.12.06 17:13

WillkÃŒr!

SozialgerichtsgebÃŒhren und Prozesskostenhilfe

- Info 11.06 -

DafÌr, dass Rechtsprechung möglich wird, bedarf es eines ungehinderten Zugangs zu den Gerichten. FÌr Geringverdiener/innen und Langzeitarbeitslose bzw. fÌr arme Leute gibt es deshalb die Prozesskostenhilfe.
Nun wollen CDU/FDP-regierte BundeslÀnder jedoch den Zugang zu den Gerichten – insbesondere zu den Sozialgerichten, die zum Beispiel ÃŒber Arbeitslosengeld II (Alg II) entscheiden – durch empfindliche GebÃŒhren so weit einschrÀnken, dass sich Arme praktisch kaum noch auf dem Rechtsweg mit Hilfe einer Klage gegen WillkÃŒr wehren können.

FÌr Personen, die auf die soziale Grundsicherung des Sozialgesetzbuchs (SGB) angewiesen sind, kosten Sozialgerichtsverfahren nichts, wenn ihr Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt wird. DafÌr prÌfen die Gerichte zuerst, ob die Klage Aussicht auf Erfolg haben kann. Nur bei substantiellen Klagen gibt es eine Kostenbefreiung. ZustÀndig fÌr PKH-AntrÀge sind die Gerichte, bei denen die jeweilige Klage erhoben wird.
Das jetzige Prozesskostenhilferecht, das im Gerichtskostengesetzes (GKG) verankert ist, wurde in der Bundesrepublik 1980 eingefÃŒhrt. Im sozialen Rechtsstaat sollen entsprechend dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes auch finanziell gering bemittelte Personen einen gleichberechtigten Zugang zum Rechtsstaat erhalten.

Im Kontext von Hartz IV möchten CDU/FDP-regierte LÀnder die GebÌhrenfreiheit fÌr Sozialversicherte, EmpfÀnger von sozialen Leistungen und Behinderte im sozialgerichtlichen Verfahren abschaffen und eine Kostenbarriere schaffen, die es in sich hat.
Einerseits wollen die konservativ-liberalen Landesregierungen eine GerichtsgebÃŒhr einfÃŒhren, die dann getragen werden muss, wenn man den Prozess verliert. Die GebÃŒhren sollen im Voraus fÀllig werden und in der Höhe zwischen 75 € und 225 € liegen – je nach Gerichtsinstanz: 75 € bei den Sozialgerichten, 150 € bei den Landessozialgerichten und 225 € beim Bundessozialgericht. Falls jemand die Mittel nicht aufbringen kann, soll das Gerichtsverfahren eben nicht eröffnet werden (Recht hin - WillkÃŒr her).
Andererseits sollen alle Betroffenen – nach den Vorstellungen der gelb-schwarzen BundeslÀnder – eine zusÀtzliche AntragsgebÃŒhr zahlen. Zwar ist allgemein fÃŒr sozial Schwache zwar weiterhin eine Prozesskostenhilfe vorgesehen. Jedoch soll in jedem Fall eine Eigenbeteiligung von 50 € gezahlt werden (auch beim gröbsten Unrecht). Das wirkt wie eine deftige StrafgebÃŒhr fÃŒr Arme, falls sie den Rechtsweg beschreiten, da die GebÃŒhr auch zu zahlen ist, wenn man den Prozess gewinnt.
FÃŒr Besserverdienende und Spitzenpolitiker sind 50 € vielleicht ein kleinerer Betrag. FÃŒr Menschen, die mit Armutslöhnen oder mit Arbeitslosengeld II auskommen mÃŒssen, sieht die Welt jedoch ganz anders aus. 50 Euro: das sind ca. 15 % vom Regelsatz eines Erwachsenen bzw. etwa 20 % vom Regelsatzes eines Kindes. Anders gesagt: das liegt ÃŒber dem Betrag, der bei Sozialhilfe und Alg II fÃŒr 10 Tage fÃŒr Essen und Trinken vorgesehen ist.

Die PlÀne sind nicht neu. Derselbe Entwurf zum Sozialgerichtsgesetz (SGG) wurde bereits in der letzten Legislaturperiode eingebracht und sollte nach PlÀnen von konservativ-liberalen Unternehmensvereinigungen und der CDU/CSU zeitgleich mit Hartz IV im Januar 2005 in Kraft treten. Die rot-grÌne Koalition hatte dies jedoch abgelehnt.
Auf Initiative des CDU/FDP-regierten Baden-WÌrttemberg im Mai 2006 wurde mit UnterstÌtzung der schwarz-gelben Landesregierung in Niedersachsen nun das Prozesskostenhilfe-Begrenzungsgesetz (Bundestagsdrucksache 16/1994 bzw. 16/1028) in der LÀnderkammer verabschiedet. Es bedarf nun noch der Zustimmung des Bundestages.
Bei der schwarz-roten Regierung Merkel sieht es jetzt anders aus. Zu den GebÃŒhren fÃŒr Sozialgerichtsverfahren wurde erst einmal ein Gutachten bestellt. Zwar lehnt die großkoalitionÀre Bundesregierung die Begrenzung der Prozesskostenhilfe insgesamt ab. Sie kann im Gesetzgebungsverfahren jedoch nur Stellung nehmen. Entscheidend ist das Votum des Bundestags. Zwar sind beide Vorhaben (SozialgerichtsgebÃŒhren plus gesonderte AntragsgebÃŒhren fÃŒr Prozesskostenhilfe) dort förmlich noch nicht eingebracht - dies kann jedoch jederzeit geschehen.

Ganz offen werden die Gesetzesvorhaben von CDU und FDP mit steigenden Kosten fÃŒr Sozialgerichtserfahren und bei der Prozesskostenhilfe begrÃŒndet. Nach Meinung des baden-wÃŒrttembergischen Justizministers Ulrich Goll (FDP) sollen die Kosten des Rechtsstaats ÃŒber eine Begrenzung der “Flut aussichtsloser Verfahren” vor den Gerichten eingedÀmmt werden.
MerkwÃŒrdig, denn: Derzeit findet eine Kostenverlagerung von den Verwaltungs- zu den Sozialgerichten statt. 2005 stiegen die Kosten der Sozialgerichte stark an, da sie fÃŒr das SGB II (Alg II / Hartz IV) zustÀndig sind – seitdem sinken jedoch die Kosten der Verwaltungsgerichte, die zuvor fÃŒr die Sozialhilfe (BSHG) zustÀndig waren.
Seltsam, denn: Im gesamteuropÀischen Kostenvergleich liegt die Kostenbelastung fÃŒr die Staatshaushalte in Deutschland gegenÃŒber den Spitzenreitern weit hinten – sofern man den Kostenvergleich seriös durchfÃŒhrt.
Unglaublich, denn: Prozesskostenhilfe wird nur dann bewilligt, wenn eine Klage hinreichende Substanz hat und Erfolgsaussichten bestehen können.

Als „in erschÃŒtternder Weise verfassungswidrig“ bezeichnet die Neue Richtervereinigung in ihrer Stellungnahme an das Bundesjustizministerium das Vorhaben des Bundesrats. Die liberal-konservativen PlÀne verletzen Art. 3 Abs. 1 und 19 Abs.4 GG, wonach Jedem effektiver Rechtsschutz zu gewÀhren ist.

Die große Zahl an Gerichtsverfahren gegen nicht erteilte und erteilte Bescheide sowie Widerspruchsbescheide der Job-Center (Argen und Optionskommunen) verdeutlicht die relativ große Rechtsunsicherheit in den ersten Jahren beim SGB II sowie offenbare FÀlle von WillkÃŒr in der Arbeits- und Sozialverwaltung. Im ersten Quartal 2006 bezogen sich rund 40 Prozent aller Sozialgerichtsverfahren auf das SGB II / Alg II – Tendenz anhaltend hoch. Rund ein Drittel der Klagen sind erfolgreich.

Den offensichtlich großen Bedarf an Rechtsstaatlichkeit fÃŒr die unteren Einkommensgruppen möchten viele Kommunal- und Landespolitiker aus den Kreisen von CDU/CSU und FDP unterdrÃŒcken, indem sie den Rechtsweg mit einer fÃŒr arme Leute sehr dicken Kostenmauer verstellen. Konservative und Liberale wissen, dass sie damit größeren Platz schaffen fÃŒr noch mehr WillkÃŒr und Rechtsunsicherheit in den Job-Centern. Dies ist sogar ein erklÀrtes Ziel, wenn man in den vielstimmigen Chor der populistischen Stimmen im schwarz-gelben Lager hineinhört. Sie wissen auch, dass damit keine neuen ArbeitsplÀtze geschaffen werden. Existenzsichernde und sozial gesicherte ArbeitsplÀtze schon gar nicht.

Berlin, den 10. November 2006

ver.di - Bundesverwaltung - Paula-Thiede-Ufer 10 - 10179 Berlin - Ressort 11 - Bereich Personengruppen -
Referat Erwerbslose/Arbeitsmarktpolitik - [email protected] - www.verdi.de/erwerbslose

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